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17.05.2020, Thomaskirche

Rogate, Pfr. i.R. K. Kappesser

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Rogate / 17.05.2020 / Lk 11, 5-13

Liebe Gemeinde!

Rogate – betet, ist dieser Sonntag im Kirchenjahr benannt. – Wenn ich das Stichwort „beten“ höre, fällt mir immer wieder die Geschichte ein, die mir eine Frau – etwa 55-60 Jahre alt – erzählte. Sie war gekommen, um Rat zu erbitten, wie sie mit ihren großen Schuldgefühlen und Selbstzweifeln umgehen sollte, die ihr das Leben oft zur Hölle machten. Sieben Jahre war sie alt, als ihre Mutter starb. Auf ihre 3 jüngeren Geschwister konnte sie nicht bauen. Der Vater war zu sehr erschüttert, als dass er Halt hätte bieten können. Der war am ehesten von den Großeltern, sehr fromm und gut katholisch, zu erwarte. Doch diese Großmutter sagte zu dem Geborgenheit suchenden Mädchen – ich unterstelle, nicht in böser Absicht: „Hättest du mehr gebetet, dann wäre deine Mutter nicht gestorben!“ – Wundert sie´s, dass die Frau mit solchen Vorerfahrungen auch 50 Jahre später immer noch von Schuldgefühlen besetzt ist und gequält wird? Was richtet da Religion, was ein  - ich befürchte von nicht wenigen „guten“ Christenmenschen – propagiertes Gottesbild an, in dem mehr Gesetz- und Normerfüllung statt Lebenslust und –freude die bestimmenden Größen sind.

Wenn ich auf Jesus schaue, mir von ihm Norm und Maß für rechtes Beten zeigen lasse – welche Akzente, welche Lebensinhalte finde ich da für mich heute? – Im Predigttext zum heutigen Sonntag – Lk 11, 5-13 – hört sich das so an:…..

Aber lieber Freund, mag mir nun jemand entgegenhalten, da steht doch gerade Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Das spricht doch für die Haltung der zuvor erwähnten Großmutter. Und das von Lk erzählte Beispiel von dem bittenden Freund mit seinem unverschämten Drängen spricht doch offensichtlich auch dafür! – Aber geht es wirklich, liebe Gemeinde, beim Beten, wie es Jesus lehrt, um solche Wunscherfüllung nach dem Motto: Bittet, und es wird euch gegeben, worum ihr bittet; suchet, und ihr werdet finden, was ihr sucht; klopfet an, und die Türen öffnen sich, wie ihr es euch vorstellt und wünscht?! Nein, ich muss nur einen Augenblick darüber nachdenken, um zu erkennen, dass bei solcher Deutung der Jesusworte vom Bitten, Suchen und Anklopfen Gott nichts anderes wäre als mein Erfüllungs-gehilfe, der Hampelmann meiner menschlichen Allmachtsansprüche. Er hat zu funktionieren, wie ich es mir vorstelle.

Jesu Versprechen der Gebetserhörung geht ja auch in eine ganz andere Richtung. Denn so endet unser Predigttext: V.13. Im Beten, sagt Jesus, steckt eine Wandlungskraft, eine Leben verändernde Kraft, eine mich erneuernde Energie. Wie das? In zwei Richtungen möchte ich´s entfalten.

Zum einen: wer bittet, erkennt an, einen grundsätzlichen Mangel zu haben. Als Beter weiß ich um das Fragmentarische meines Lebens, stehe ich zu meinen leeren Händen. Jede und jeder, der bittet, gesteht ein, auf andere angewiesen zu sein. Macht sich damit aber auch gleichzeitig verletzlich. Denn eine Bitte kann abgewiesen werden und unerfüllt bleiben. Ich kann ja nur hoffen, dass der Adressat meiner Bitte mich trotz meiner Hilfsbedürftigkeit als Person mit unverletzbarer Würde akzeptiert und anerkennt. Sonst droht meine Bitte ins Betteln umzuschlagen, muss ich damit rechnen, dass meine Schwäche und Verletzlichkeit gnadenlos ausgenutzt wird. Und an der Stelle sagt Jesus: wenn das auch unter Menschen oft genug so ist, bei Gott müssen wir dieses Machtgefüge nicht fürchten. Er erkennt meine Niedrigkeit an;, ja hat seinen Sohn in diese Niedrigkeit geschickt. Sie also geadelt. Hat Jesus mit seinem Schrei der Ver-zweiflung wegen des drohenden Kreuzes und mit seinem „… aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“ zum Maßstab christlichen, ja menschlichen Gebetes und Lebens gemacht.

Finde ich von daher zum Beten, kann ich spüren, wie es gut für mich ist, auch wenn nicht alles gleich anders wird. Die letzten Wochen haben ja auch gezeigt, dass ein Verzicht – und wir mussten und müssen auf Vieles verzichten – oft ein „Mehr“ an Lebensqualität und –freude bringt. Es lässt mich Schönes und Schweres in einem anderen Licht sehen. Im Gebet nehme ich Abschied vom eigenen Willen, meinen eigenen Vorstellungen, um mich selbst vor Gott neu zu finden. Meine Seele wird ruhig und weitet  sich gleichzeitig im Gebet. Vielleicht oder bestimmt hat´s manch einer  schon so erfahren.

Schön beschrieben ist solche Bewegung in einer Anekdote, die Mutter Teresa zugeschrieben wird: Sie soll auf die Frage eines Journalisten, wie sie

denn bete, geantwortet haben: „ich rede eigentlich weniger und höre mehr Gott zu.“ – „Und“, hakte der Journalist nach, „was sagt Gott dann zu ihnen?“ – „Er redet auch eigentlich weniger und hört mehr mir zu.“

Das führt mich zu einer anderen Seite des Gebets: Wer betet, lebt zweimal, hat einmal ein kluger Mensch gesagt. Denn Beten ist eine Übung gegen das Verstummen, gegen das Vergessen, gegen das Gleichmachen. Immer, wenn ich bete, komme ich noch einmal mit mir in Berührung; mit meinen Wünschen, meinen Schmerzen, meinem Zorn und meinem Glück. Komme aber auch mit anderen in Berührung, mit ihren Wünschen und Schmerzen. Es ist der vom Vater im  Himmel geschickte heilige Geist, der mir da meine Welt, ja auch Welten der anderen öffnet; der mich trotz allem Dunkel und allem mir Unverständlichem und Bedrohlichem, wie in den letzten Wochen und dem noch vor uns Stehenden, das Lied von der guten Schöpfung Gottes spüren und singen lässt. Ein schönes Beispiel für mich ist da Paul Gerhard, der mitten in Krieg und Pestzeiten uns auffordert „Geh aus mein Herz und suche Freud…. Im Beten trifft mich Gottes heiliger Geist, der meiner Phantasie Flügel verleiht.

Fürbitten nenne ich die Bewegung. Denn unscheinbarer Friedensdienst ist´s, wenn ich das Leben der anderen so ernst nehme wie mein eigenes. Er-wägung und Besprechung von Veränderung ist´s, wenn im Gespräch vor und mit Gott die Andersartigkeit der nahen und fernen, der mir lieben und auch nicht so lieben Menschen ihre Wertschätzung erfährt. Gebete und Fürbitten, die ein unsichtbares Netz der Zuneigung, der Wärme und des Vertrauens in unserer Welt spinnen können.

Zum Schluss noch eine Erinnerung auch an einen früheren Klienten: 75 Jahre mochte er sein, der Mann, der mir berichtete, dass er sich in seinen Notizkalender die Namen einer Reihe von ihm bekannten und wichtigen Personen eingetragen habe. Seine Fürbittliste nannte er es. Täglich gehe er im Gespräch mit Gott diese Liste durch. Es war offensichtlich, wie er damit in einer zarten, nicht vereinnahmenden, tragfähigen und liebevollen Verbindung blieb. Und ich ahnte, dass bestimmt, diese da aufgenommenen Menschen etwas von dem heiligen Geist Gottes im Himmel hier auf Erden spürten.

 

Pfarrer i.R. Klaus Kappesser

Infos

Termin
17. 05. 2020 10:00 – 10:30 Uhr
Ort
Ev. Thomaskirche
Berliner Str. 37
55131 Thomaskirche

Details

Veranst.
Ev. Thomaskirchengemeinde Mainz
E-Mail
buero@thomasgemeinde-mainz.de

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